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Callichthyidae Panzerwelse & Co (Corydoras , Aspidoras etc.)

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Alt 02.09.2003, 20:29   #71
Tobias M
Babywels
 
Registriert seit: 25.08.2003
Beiträge: 4
Zitat:
Originally posted by gong1979@Sep 2 2003, 06:41
(...)Wie sollen dann wir rausfinden, ob es jetzt genau diese Corys sind? Gibt es da einen Haartest?
Hallo gong,

genau darum geht es in der ganzen Diskussion.

Wenn ein Wissenschaftler eine Art beschreibt, ihr also einen wissenschaftlichen Namen gibt (z.B. Corydoras gongi, um etwas zu nehmen, was es garantiert nicht gibt), veröffentlicht er eine Beschreibung in einem Buch oder einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Darüber hinaus hinterlegt er (normalerweise) konservierte Tiere in der Sammlung eines oder mehrerer Forschungsmuseen. Das sind die "Typenserien". Eines der Tiere wird als "Holotypus" bezeichnet, die anderen als "Paratypen" (griechisch: holos = ganz, para = neben).
Nicht die Beschreibung oder die Mehrheit der Tiere in der Typenserie ist ausschlaggebend, sondern einzig und allein der Holotypus. Alle Tiere, die dem Holotypus entsprechen, gehören zu der Art, deren Namen in der Erstbeschreibung veröffentlicht wurde.

In diesem Fall (Corydoras julii) wird die Sache noch weiter erschwert: Der Holotypus ist zur Zeit nicht auffindbar, auch wenn er theoretisch in der Fischsammlung des Naturhistorischen Museums in Wien vorliegen sollte. Hier ist in 99 Jahren ichthyologischer Forschung (Steindachner hat die Art 1904 beschrieben) und zwei Weltkriegen leider ein bißchen Material verloren gegangen. (Dennoch ist die Wiener Sammlung in hervorragendem Zustand, ich konnte mich vor 2 Jahren selbst davon überzeugen)

Da das Material verloren ist, haben zwei niederländische Ichthyologen (Han Nijssen und Isaäc Isbrücker) später (ich weiß nicht genau wann) einen Lectotypus festgelegt. "Lectotypus" bedeutet, daß hier ein Ersatz für den verlorenen Holotypus geschaffen wurde. Jetzt gilt also jedes Tier als C. julii, das dem Lectotypus entspricht.

Soweit die Vorrede, jetzt fängt das Problem an: Soweit mir bekannt (ich kenne die Leser hier nicht so genau und weiß nicht, in wie weit hier der ein oder andere der Werner-Dynastie (bitte um Verzeihung für den Ausdruck) bei der Hinterlegung des Lectotypus seine Finger bzw. Netze im Spiel hatte), hat keiner diesen Lectotypus gesehen. Um ein Tier mit absoluter Sicherheit C. julii zuzuordnen, muß es dem Lectotypus "in allen wesentlichen Einzelheiten entsprechen". Soweit wäre das zwar aufwändig, aber technisch nicht schwierig zu bewerkstelligen.
Das Problem beginnt da, wo ein Ichthyologe wie ein Ochs vorm Berg vor einer guten Handvoll Tiere sitzt, die sich sehr ähnlich sehen, aber doch nicht ganz gleich sind. Hier stellt sich nämlich die Frage: "Was sind überhaupt die wesentlichen Einzelheiten?"
Für den Aquarianer ist das noch einfach: er achtet auf den Körperbau und auf die Zeichnung, nimmt sich eine ähnliche Art dazu (in diesem Fall oft C. punctatus und C. trilineatus) und vergleicht: Ist ein Punkt in der Rückenflosse? Verlaufen die Punkte in der Mitte der Knochenschilde des Abdomens zu einer Linie? Bilden die Punkte um diese Linie herum wiederum Linien oder nicht? Hier wirds schwieriger: Was ist, wenn bei Tier A die Punkte gar nicht verschmelzen, bei Tier B der vordere Teil der Punkte ja, aber der hintere nicht, bei Tier C der hintere Teil verschmilzt, aber der vordere nicht und bei Tier D alle verschmelzen? Was ist, wenn es da nochmal Zwischenformen zu gibt?
Der Morphologe (Ein Forscher, der die Gestalt von Tieren, Organen etc. erforscht) wird versuchen, anhand von festgelegten Messpunkten verschiedene Körperproportionen festzustellen, die aber möglicherweise von der Größe und dem Geschlecht des Tieres abhängen. Bei den Panzerwelsen kann er zusätzlich noch Knochenplatten zählen, vielleicht das Tier röntgen und die Zahl der Wirbel und Flossenstrahlen ermitteln und er kann den Brustflossendorn untersuchen. Dieser ist gezahnt, wie dir möglicherweise schon aufgefallen ist. Die Zähne des Brustflossendorns und ggf. des Rückenflossendorns sollen ein Merkmal sein, das im Gegensatz zur Zeichnung artspezifisch ist, d.h. bei allen Individuen einer Art "im wesentlichen identisch" ist. Was "wesentlich" ist, muß der Morphologe selbst entscheiden, er muß es nur gut begründen können, um ernst genommen zu werden.

Nun zur Haarprobe: Eine genetische Untersuchung, ähnlich wie beim Vaterschaftstest ist natürlich auch bei Panzerwelsen möglich. Anders als bei den Tests der Rechtsmedizin wird hier ein Gen herausgegriffen und sequenziert, d.h. die Abfolge der Basen auf der DNA wird ausgelesen. Der Aufwand dafür ist heute verhältnismäßig klein, man kann einige Dutzend Proben in einer Woche bearbeiten, die Kosten pro Probe mit etwa 40 Euro allerdings recht hoch.
Eine solche Untersuchung liefert definitiv Ergebnisse, aber sie müssen interprätiert werden. In der Regel greift man sich Gene heraus, die stark veränderlich sind (es gibt Gene, die so genau sein müssen, daß eine einzige minimale Änderung schon die Funktionsunfähigkeit und damit die Nichtlebensfähigkeit des Individuums zur Folge hat, andere sind quasi beliebig veränderbar), so daß ein vergleichsweise scharf trennendes Muster entsteht.
Wenn man eine Gruppe von z.B. 100 Tieren im Gen ABC, das stark veränderlich ist, sequenziert, bekommt man (als Beispiel) 4 Gruppen: Gruppe 1 hat ein einer Stelle die Sequenz AAAA, Gruppe 2 die Sequenz AAGA, Gruppe 3 AAGG und Gruppe 4 CCTC. Gruppe 1 hat 53 Tiere, Gruppe 2 27, Gruppe 3 2 Tiere und Gruppe 4 18 Tiere.
Da könnte man nun sagen "Klasse, die sind unterschiedlich, wir haben 4 Arten". Wir können lediglich feststellen, daß das Gen ABC bei der Stichprobe in 4 verschiedenen Formen vorliegt, von denen die Formen A, B und C sehr ähnlich sind und die Form D stark abweicht.
Ein Beispiel aus der Welt der Menschen: Irgendjemand kommt auf die Idee und sequenziert blind ein Gen von 100 Menschen. Dabei bekommt er zwei Gruppen heraus, die sich stark von einander unterscheiden. Haben wir nun zwei Arten Menschen untereinander? Nein, denn er hat das Gen für die Augenfarbe erwischt, das entweder blaue oder braune Augen verursacht und in beiden Ausprägungen sehr unterschiedlich aussieht.

Wenn man allerdings genug Gene sequenziert (z.B. 10 mit etwa 5000 Basenpaaren insgesamt), wird man auf ein klareres Bild kommen. Nur ich kenne niemanden, der in der Lage ist, solche aufwändigen Untersuchungen bei Corydoras zu sponsorn:

Bei 300 bisher bekannten Corydoras (beschriebene und C-Nummern zusammen ergeben etwa eine solche Zahl) würde eine Reihenuntersuchung mit seriösen Rahmenbedingungen erfordern, daß von 200 Formen (ich gehe davon aus, daß nicht alle Formen in der Natur aufzufinden sind bzw. deren Vorkommensgebiete teilweise aus technischen oder politischen Gründen nicht erreichbar sind) je 10 Tiere von je mindestens 3 bis 5 Standorten pro Art in je 10 Genen sequenziert werden müssten.
Das würde bedeuten, daß man 60.000 bis 100.000 Gene sequenzieren müsste, jedes zu 40 Euro.
Dazu kommt, daß man erst einmal diese Tiere mit genau bekannten Fundortdaten bekommen muß, was Sammelaktionen bedeutet.

Wenn man die Tiere dann in Händen hat, muß man sie mit den Beschreibungen und den jeweiligen Holotypen vergleichen und sequenzieren. Wenn ich davon ausgehe, daß ein Technischer Assistent mit Hilfe der richtigen Gerätschaften etc. 150 Proben in der Woche abarbeiten kann und 45 Durchgänge im Jahr schafft, sequenziert er 6750 Proben im Jahr. Alleine das Sequenzieren wären im Idealfall knapp 15 Mannjahre, eher ein Drittel bis die Hälfte mehr, da ja auch schon mal was schief geht.

Wenn man dann auch noch die morphologischen Arbeiten dazu rechnet, kommt ein echtes Lebenswerk dabei heraus.....

schöne Grüße

Tobias
Tobias M ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2003, 22:41   #72
Walter
Herr Prof. Obermoserer
 
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Registriert seit: 02.01.2003
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Beiträge: 4.130
Also,
nachdem sich André ja nicht mehr äußert, leider, von den hinterlegten Tieren liegen nicht nur 9 in Amsterdam, sondern auch 4 in München in der ZSM.
Abgesehen davon, dass Amsterdam ja nicht am Ende der Welt ist, kann man IMHO einem André, der in der Zoologischen Sammlung München fast soviel Zeit verbringt, wie der Durchschnittsdeutsche vor der Glotze, schon glauben, wenn er sagt, dass er soche Tiere in seiner Anlage schwimmen hat.
Das ist das einzige Problem hier im Thread, das haben aber anscheinend die meisten nicht verstanden, es geht um das "Anzweifeln ansich" und v.A. um die Art und Weise, wie dies ausgedrückt wurde.
__________________
Grüße, Walter
Walter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2003, 23:54   #73
Walter
Herr Prof. Obermoserer
 
Benutzerbild von Walter
 
Registriert seit: 02.01.2003
Ort: Wien
Beiträge: 4.130
Hi Tobias,


Zitat:
Eines der Tiere wird als "Holotypus" bezeichnet, die anderen als "Paratypen"
sicher? Immer?

Zitat:

In diesem Fall (Corydoras julii) wird die Sache noch weiter erschwert: Der Holotypus ist zur Zeit nicht auffindbar, auch wenn er theoretisch in der Fischsammlung des Naturhistorischen Museums in Wien vorliegen sollte.
Bist Du Dir da gaaanz sicher?
Schau doch nochmal nach ..., in Deinen Ordnern vielleicht

SCNR ...
__________________
Grüße, Walter
Walter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.09.2003, 07:00   #74
gong1979
Sir Glocke
 
Registriert seit: 04.06.2003
Beiträge: 529
Hallo Tobias,

also sollte ich vorher alles beachten, was Du da so schön wissenschaftlich beschrieben hast? :blink:
Ich glaube ich bleibe meiner Linie treu und schaue eher auf die Schilder. :angel:
Ich hab keine Gentests dabei. Und 40 Euro dafür ist mir auch ein bissel zu viel. :tfl:
Aber trotzdem danke für Deine ausführliche Erklärung.

Corydoras Gongi. Das wäre natürlich mal eine Rarität. :vsml: :tfl:

Gruß

Matthias
gong1979 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.09.2003, 17:26   #75
Majo
Wels
 
Registriert seit: 24.04.2003
Beiträge: 64
Hallo Tobias,

die Untersuchung von einzelnen Genen ist ja schön und gut, aber es gibt ja auch noch die Fingerprint-Methode oder das Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus- Verfahren (kurz RFLP). Dabei werden nicht mehr einzelne Gene sequenziert, sondern lediglich die charakteristischen Bandenmuster miteinander verglichen. Insgesamt ist das Ganze dann wesentlich einfacher und nicht mehr so kostenintensiv. Das ist mit ein Grund, weswegen Heute vornehmlich dieses Verfahren beim Vaterschaftstest angewendet wird.
Ein weiterer Vorteil: Wesentlich weniger Zellmaterial ist von nöten, um zu einem sicheren Ergebnis zu kommen.

Gruß,

Marion
__________________
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. ;-)
Majo ist offline   Mit Zitat antworten
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