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Alt 20.06.2016, 06:31   #9
Jost
Händler/Züchter
 
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Beiträge: 724
Moin
es ist immer gut, wenn man alle Seiten einer Medaille betrachtet. Jetzt wird also der Osmotische Schock/Gleichgewicht oder was auch immer ins Rennen geschickt. Das ist in der Tat extrem wichtig. Doch auch hier sollte mal mit Augenmaß diskutiert werden.

Zunächst die Basics, und ich nenne jetzt hier mal die Werte angenähert in µS/cm, also die Leitfähigkeit, da können die meisten was mit anfangen:
Amazonas-Einzugsgebiet: 10-100 µS/cm (nahe destilliertes Wasser)
Aquarien bei Züchtern von Weichwasserfischen (z.B. Ralf, bei mir, etc.) 100-300 µS/cm
Aquarien bei "Otto-Normalverbraucher" (vielfach etwas höher als Leitungswasser) 300-800 µS/cm
Aquarien bei extremen Hartwasser, keine Ahnung, vielleicht 1.000 µS/cm, kenne keine Hartwasser-Freaks
Meerwasser ungefähr 36.000 µS/cm (man kann das aus dem Salzgehalt, der bei 36 Promille liegt, genau errechnen, spar ich mir hier, ist eher unwichtig).
Blut der Knochenfische (aller Arten egal ob Süß- oder Meerwasser, gilt nicht für Knorpelfische) etwa 15 Promille, also grob 15.000 µS/cm.

Jetzt kommen wir zur Osmoseregulation der Fische.

Meerwasserfische sind hypoosmotische Regulierer. Sie haben einen niedrigeren osmotischen Wert im Körperinneren als ihre Umgebung, was ohne Gegenregulation zu einem ständigen Wasserverlust führen würde. Sie scheiden daher aktiv Salze über die Kiemen aus.

Süßwasserfische sind hyperosmotische Regulierer. Sie haben einen höheren osmotischen Wert im Körperinneren als ihre Umgebung und nehmen deshalb Elektrolyte mit den Kiemen aktiv aus dem umgebenden Wasser auf. Das dabei mit aufgenommene, überschüssige Wasser wird über den Urin wieder ausgeschieden, der deshalb sehr verdünnt ist.
Quelle Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Osmoregulation

Bezogen nun auf unsere Fische (und ich rede jetzt nur noch von denen): alles Süßwasserfische, also ist deren Blut ein Vielfaches salziger (15.000 gegenüber 10-1000 µS/cm, also 1500-15 fach höher) als das Wasser in dem sie leben.

Klar muss des weiteren sein, Osmoregulation kostet Energie, und zwar nicht wenig. D.h., wenn ich einen Fisch aus einer niedrigeren Leitfähigkeit beziehe, z.B. bei einem Züchter wie Ralf oder mir, und dann in normales Leitungswasser setze, hat er entweder überhaupt keinen Unterschied hinsichtlich Osmoregulation (keinen erhöhten Energiebedarf) oder, was eher die Regel sein sollte, einen ganz leichten Unterschied, und jetzt kommt das entscheidende, dabei braucht er weniger Energie für die Osmoregulation beim Normalkunden als bei uns Züchtern (Leitfähigkeit beim Züchter niedriger).
Doch, auch dies muss klar gesagt werden, dieser Energieunterschied wird wahrscheinlich im nicht mehr messbaren Bereich liegen, weil der Unterschied so gering ist.
Folgerung: Osmoregulation als Argument in dieser Richtung spricht klar für sofortiges Umsetzen, der Fisch braucht weniger Energie, das hilft ihm!

Andersherum, wenn ich einen Fisch aus Hartwasser bekomme und bei mir einsetze, dann kann die Leitfähigkeit im Extremfall von 1.000 auf 100 µS/cm absinken, der Fisch bräuchte wirklich (und dies wäre mglw. sogar messbar) mehr Energie für die Osmoregulation. Ist das von Relevanz? kann sein, ich habe noch nie auch nur ansatzweise was bei meiner Methode gesehen. Und wenn man Effekte in so einem Fall sehen würde, dann bräuchte es für mich erstmal eines experimentellen Beweises, dass die Osmoregulation der primäre Faktor gewesen ist, und nicht irgendetwas sekundäres....

Klar ist aber auch, wenn ich mein Wasser vorher aufsalzen würde (was ich vor allem in Quarantäne mache, vor allem wegen Ektoparasiten, wenn Verdacht, z.B. bei diesen Salmlern, s.o.), dann würde ich im auf der Energieseite entgegenkommen. Das ist einer der wesentlichen Gründe warum einfache Salzbehandlungen in vielen Fällen nicht nur gut vom Fisch vertragen werden (er braucht weniger Energie für die summarische Osmoregulation, aber aufpassen, was hinsichtlich einzelner Ionen von belang ist), sondern gerade für Ektoparasiten oft das AUS bedeuten, weil die eben nur ganz begrenzt, wenn überhaupt, so einen Salzschock vertragen.

Aber nochmal, ich vermute (ich habe es nie gemessen, da müßte man mal eine Spezialisten fragen, etwa Stefan Hetz), Probleme beim Umsetzen aufgrund der Osmoreulation (im Hinterkopf heißt dies eigentlich immer Energieverbrauch) sollten wenn überhaupt marginal sein und in der Mehrzahl der Fälle völlig irrelevant (weil kein oder geringer Unterschied) oder eher sogar positiv für den Fisch (z.B. Umsetzten von 200 µS/cm (schon sehr niedrig) auf normales Wasser).

Klar gibt es Ausnahmefälle (s.o.), doch rechtfertigen diese die massiv verlängerte Stressphase im Eimer für die Fische (und das kostet richtig Energie, ich weiss schon warum wir vor unseren Messungen des Sauerstoffverbrauchs bei den Grundeln diese nach dem Umsetzen völlig verdunkelt und ungestört für 24 h in der Messkammer lassen).

Ich sage nein, also sofortiges Umsetzen hilft dem Fisch, weil weniger Energie benötigt wird. Und die Deltas müssten schon extrem sein um diesen Effekt vielleicht zu Nichte zu machen.

Sorry, das es jetzt was länger geworden ist!
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Beste Grüße
Jost

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